Hans-Peter Dürr erzählte in seinem Vortrag eine sinnbildliche Geschichte, die ursprünglich auf den englischen Astrophysiker Arthur Eddington zurückgeht. Er vergleicht den Wissenschaftler – oder genauer: den rational denkenden Menschen – mit einem Ichthyologen, also einem Fischkundigen, der das Leben im Ozean erforschen will. Nach vielen Jahren des Fischens kommt dieser Forscher zu zwei Grundgesetzen seiner Disziplin: Erstens, alle Fische sind größer als fünf Zentimeter. Zweitens, alle Fische haben Kiemen. Diese beiden Regeln ergeben sich aus seinen wiederholten Beobachtungen, und weil er sie stets bestätigt findet, hält er sie für allgemeingültige Naturgesetze.
Auf dem Heimweg trifft der Ichthyologe einen Philosophen und erzählt ihm stolz von seinen Entdeckungen. Er ruft begeistert: „Große Entdeckung gemacht – zwei Grundgesetze an einem Tag, wunderbar!“ Der Philosoph hört aufmerksam zu und antwortet: „Nun ja, dein zweites Gesetz mag vielleicht stimmen. Aber das erste ist kein Gesetz. Wenn du die Maschenweite deines Netzes gemessen hättest, wüsstest du, dass sie fünf Zentimeter beträgt. Du kannst gar keinen Fisch fangen, der kleiner ist.“
Darauf entgegnet der Ichthyologe selbstbewusst: „Entschuldigen Sie, Herr Philosoph, aber in meiner Disziplin ist ein Fisch definiert als das, was ich mit meinem Netz fangen kann. Was ich nicht fangen kann, ist kein Fisch.“
Dürr verwendet dieses Gleichnis, um zu zeigen, dass die Wirklichkeit nicht mit unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit verwechselt werden darf. Wir sehen die Welt immer nur durch die Bedingungen unserer eigenen Wahrnehmung – durch unsere Sinnesorgane, unsere Messinstrumente, unsere Begriffe und die Art und Weise, wie wir denken. Das, was wir „erkennen“, hängt also immer vom Netz ab, das wir auswerfen.
Ein zweites Beispiel, das Hans-Peter Dürr oft in seine Vorträge einbaute, verdeutlicht diesen Gedanken auf ebenso anschauliche Weise – diesmal nicht mit einem Netz im Meer, sondern mit einem Loch in der Wand. Während das Gleichnis vom Ichthyologen zeigt, dass unsere Erkenntnis immer von den Werkzeugen abhängt, mit denen wir die Welt erfassen, führt das „Loch in der Wand“ noch einen Schritt weiter: Es macht sichtbar, dass etwas real sein kann, obwohl es keine materielle Substanz besitzt – und damit das Denken der Physik selbst über die Grenzen des Greifbaren hinausführt.
„Stellen Sie sich eine Mauer vor – mit einem Loch darin. Jeder kann das Loch sehen, jeder kann es beschreiben. Über Jahre hinweg gehen die Menschen vorbei und sagen: ‚Da ist ein Loch in der Mauer.‘
Eines Tages wird die Mauer abgerissen. Dann fragen Sie: Wo ist das Loch hin?
Das Loch ist verschwunden – aber wohin? Es war ja nichts! Und trotzdem war es da.
Das zeigt: Es gibt Phänomene, die real sind, obwohl sie nicht aus Materie bestehen. Ein Loch hat keine Substanz, keine Masse, keine Energie – und dennoch hat es eine Form, eine Wirkung, eine Bedeutung.
Das Loch ist ein Beispiel für das, was in der modernen Physik Wirklichkeit ist: nicht das Ding, sondern die Beziehung, die Form, das Muster, das Wirken.“
Ah, zum Schluss vielleicht noch eine wichtige Weisheit von Hans-Peter Dürr: "Es ist an der Zeit, Erkenntnisse auch einmal zur Kenntnis zu nehmen!"



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